Die Moschee und der Friedhof des Dorfes Keturiasdešimt Totorių

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Das südwestlich von Vilnius am Rand des Bezirks liegende Dorf mit dem ungewöhnlichen Namen Keturiasdešimt Totorių (Dorf der vierzig Tataren) ist eine der ältesten Siedlungen der Tataren im Großfürstentum Litauen. Vor langer Zeit lebten hier Menschen, wovon die Hügelgräber unweit des Dorfes zeugen – ein Jahrhunderte alter Friedhof mit runden oder ovalen Aufschüttungen aus Erde und Steinen, auf denen einst Grabmale standen.

Die ersten Tataren ließen sich hier zur Zeit von Vytautas dem Großen nieder – konkret im Jahr 1397 - als der Fürst nach einem siegreichen Feldzug mit Kriegsgefangenen zurückkehrte. Man sagt, dass Vytautas auf dem Gebiet des heutigen Dorfes 40 tatarische Gefangene hielt. Dies ist der Ursprung, woher der Ortsname Qırıq Tatar stammt.

Mit dem Namensursprung werden verschiedene Theorien und Legenden in Zusammenhang gebracht. Eine davon handelt von den einst im Dorf befindlichen 42 Häusern der Tataren, die andere verbindet das Wort „keturiasdešimt“ (vierzig) nicht mit einer Zahl, sondern mit einem Wort aus der Turksprache, das „Fülle“ bedeutet.

Einer Sage zufolge, welche die Dorfbewohner selbst erzählen, schenkte der Großfürst den Tataren damals Land und gewährte ihnen das Privileg, ihren Glauben und ihre Bräuche zu erhalten. Um das Wachstum der Bevölkerung zu beschleunigen, gestattete er die traditionelle Polygamie. Ein Tatar heiratete sogleich 4 Frauen, die dem Mann je 10 Söhne gebaren! Diese Brüder sind die Grundlage für das Dorf, das heute Dorf der vierzig Tataren genannt wird.

Im Dorfzentrum erhebt sich ein hölzernes Gebetshaus – eine Moschee. Sie ist die älteste und eines von vier heute auf litauischem Gebiet betriebenen muslimischen Heiligtümern. Interessanterweise ist Litauen das einzige Land des Baltikums, in dem man überhaupt ein muslimisches Gebetshaus besichtigen kann.Seit 1996 ist die Moschee im Dorf Keturiasdešimt Totorių ein staatlich geschütztes historisches und architektonisches Denkmal von sakraler Bedeutung.

Durch das Metalltor, das mit Motiven von Weinreben und Sonnen verziert ist, gelangt man auf einen von Laubbäumen beschützten muslimischen Friedhof, der mizargenannt wird. Bei einem Teil der Grabmale handelt es sich um aus Erde aufgeschüttete und mit Steinen an den Seiten befestigte, sich nach oben verjüngende Hügelgräber. Im Dorf Keturiasdešimt Totorių befinden sich mehrere alte Friedhöfe, die auf das 14. Jahrhundert zurückreichen.

In der Nähe der Moschee hat die tatarische Gemeinde einen Gedenkstein für Vytautas den Großen errichtet. Im Jahre 1997 haben die Tataren anlässlich des 600. Jahrestages ihrer Besiedlung Litauens auf diese Weise ihren Schutzpatron geehrt.

 

Die Moschee von Keturiasdešimt Totorių

Die islamgläubige Gemeinde der Tataren hatte auf dem Gebiet des Großfürstentums Litauen insgesamt 60 Moscheen errichtet – 24 davon auf dem heutigen Staatsgebiet Litauens. Heute sind nur vier erhalten. Die Moschee im Dorf Keturiasdešimt Totorių ist die Älteste. Es wird vermutet, dass der erste Bau an diesem Ort zur Zeit von Vytautas dem Großen errichtet wurde.

Die Moschee von Keturiasdešimt Totorių ist ein Gebäude mit quadratischem Grundriss und einem vierseitigen Dach. Der kleine Turm mit einem Licht auf dem Dach – ein Achteck in Zwiebelform mit verglasten Fenstern und einem Halbmond an der Spitze – ersetzt das traditionelle Minarett (ein Minarett ist ein hoher Turm mit einer oben befindlichen, offenen Plattform, von der aus der Geistliche die Gläubigen zum Gebet ruft). Interessanterweise bedeutet das Wort Minarett (Arabisch: manarah) auf Deutsch „Leuchtturm“.

Diese Moschee ist die einzige auf dem Gebiet des Großfürstentums Litauen, die kein mihrab besitzt. In der alten arabischen Kultur ist das mihrabdas Thronzimmer des Herrschers und in der Architektur bezeichnet es ein besonderes Element einer Moschee - eine mit Marmor- oder Keramikfliesen verzierte Wandnische, welche die Richtung nach Mekka weist. Ganz gleich, in welchem Land der Welt die Gläubigen leben – sie müssen mit dem Gesicht nach Mekka, der Heimatstadt des Propheten und Islamgründer Mohammed, beten.

Die Wände der Moschee zieren traditionell Muhire, d. h. auf Arabisch kalligrafisch notierte Auszüge aus dem Koran. Das Kerzenlicht der großen hölzernen oder silbernen Kerzenständer strahlt Gemütlichkeit aus und beleuchtet die Dekorationen, die Abbilder von Mekka und Medina enthalten. Der Boden der Moschee ist mit grünen beschrifteten Teppichen ausgelegt, auf denen gebetet wird, wobei sich der Gläubige bis auf die Erde verbeugt.

Wie auch bei Gebetshäusern anderer Religionen des Orients üblich beten Männer und Frauen getrennt. Die Moschee ist in zwei Bereiche unterteilt, die über zwei unterschiedliche Eingänge betreten werden. Die Trennwand verfügt aus akustischen Gründen über ein Fenster, das mit einem Vorhang aus leichtem Tuch verdeckt ist. 

Um die Moschee von Keturiasdešimt Totorių von Innen besichtigen zu können, ist eine vorherige telefonische Absprache mit der Gemeindevorsitzenden notwendig. 

 

Die Tataren in Litauen

Die nationale Dispora der Tataren begann sich in Litauen Ende des 14. Jahrhundert niederzulassen, als Vytautas der Große nach einem Siegreichen Feldzug mit tatarisch-stämmigen Gefangenen von der Krim, aus Kasan und der Goldenen Horde zurückkehrte. Das Hauptnetz aus Siedlungen der turkstämmigen Tataren breitete sich in den Gebieten von Vilnius, Trakai, Minsk und Nawahrudak (heute in Belarus) aus.

Für das ihnen geschenkte Land traten die Tataren in das Militär ein. Abhängig von der Landfläche wurden ein Pferd und ein bewaffneter Reiter zur Armee geschickt. Die Tataren begleiteten den Herrscher oft auf Ausflügen, bei der Jagd, sie fingen Verbrecher und reparierten die Straßen. Die meisten Stadtbewohner gingen einem Handwerk und dem Handel nach, besonders im Bereich der Herstellung von Lederwaren. Die beliebteste Beschäftigung der Tataren blieb jedoch auf lange Sicht der Militärdienst.

Interessanterweise wiesen die meisten tatarischen Familien im 19. Jahrhundert dem Russischen Reich ihre adelige Abstammung nach und begannen, die dieser Schicht gebührenden Privilegien zu nutzen. Ihnen wurden die Staatssteuern erlassen und sie mussten nicht zum Militärdienst. Sie durften an Hochschulen studieren und hohe Ämter beim Militär belegen sowie sich danach in der Gesellschaft zu bekleiden. Auf diese Weise bildete sich auf lange Sicht die tatarische Elite heraus. Der 1925 gegründete Kultur- und Bildungsverein der Tataren begann mit dem Verbreiten von Druckwerken und wissenschaftlichen Bänden, dem Anlegen eines Registers des nationalen Kulturerbes und der Erneuerung.


Adresse: Vytauto Str. 9, Dorf Keturiasdešimt Totorių, Gemeinde Pagiriai, Bezirk Vilnius