Der etwa 2820 km lange geodätische Struve-Bogen zeugt von einem außergewöhnlichen Fortschritt im Bereich der Geowissenschaften. Ziel dieses wissenschaftlichen Projekts seit Anfang des 19. Jahrhunderts war es, Größe und Form des Planeten Erde so genau wie möglich zu erforschen und zu bestimmen! Dank der engen Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Monarchen verschiedener Länder wurde ein großartiges und für die gesamte Menschheit wichtiges Ergebnis erzielt – der genauestens vermessene längste Abschnitt des Meridianbogens der Erde. Diese besondere Leistung hatte auf die weiteren Berechnungen sogar noch ein Jahrhundert später großen Einfluss.
Im Wesentlichen ist der Struve-Bogen ein Messinstrument, das speziell zur Berechnung bestimmter Erdparameter (z.B. Form, Größe, Meridianlänge) geschaffen wurde. Dieser Bogen erstreckt sich von der Küste des Schwarzen Meeres von der Stadt Ismajil an der Mündung der Donau bis zum Leuchtturm von Fuglenes am Arktischen Ozean. Der von der Südküste der Ukraine bis an die Nordküste Norwegens verlaufende Bogen verbindet zehn Staaten der Gegenwart: die Ukraine, Moldau, Belarus, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland, Schweden und Norwegen. Interessanterweise stimmt der Struve-Bogen fast durchgängig mit der Grenze zwischen West- und Osteuropa überein.
Der geodätische Struve-Bogen besteht aus einer Kette von 258 Dreiecken mit 265 ihn markierenden Schlüsselpunkten. Die Objekte sind mit verschiedenen Symbolen gekennzeichnet: in Steine gebohrte Vertiefungen, Eisenkreuze, speziell errichtete Obelisken, Informationstafeln u.ä.
2005 wurde der Struve-Bogen in die Liste des Welterbes nach dem Übereinkommen der UNESCO zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (weiterhin „Übereinkommen zum Welterbe“ genannt) aufgenommen. Von 34 Punkten des geodätischen Bogens auf dieser Liste befinden sich drei in Litauen! Es handelt sich dabei um die vom Nationalen Grundamt beim Ministerium für Landwirtschaft und vom Institut für Geodäsie der Technischen Gediminas-Universität Vilnius ausgewählten Punkte des staatlichen geodätischen Netzes:
Jeden dieser Punkte ziert eine Denkmalsäule mit der Symbolmarke der UNESCO.
F.G.W. von Struve
Der geodätische Bogen wurde nach dem Astronomen Friedrich Georg Wilhelm Struve benannt, der die Methode zur Vermessung des Meridianbogens entwickelt hat. Dieser Wissenschaftler, der an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lebte, war fast 20 Jahre Leiter des astronomischen Observatoriums an der estnischen Universität von Tartu.
Der Struve-Bogenist eine 2820 km lange Kette, welche die Fragmente der Triangulationsnetzeverbindet. Die Triangulation (lat. triangulum– Dreieck) bezeichnet das Ermitteln der Position geodätischer Punkte durch Bildung von Dreiecksketten der vermessenen Erdfläche. Es ist eine in der Wissenschaft der Geodäsie eingesetzte spezifische Methode zur Erstellung von Landkarten und topografischen Plänen. Kurz gesagt: Die Triangulation basiert auf der Bildung und Berechnung von Dreiecken und ihren Netzen. Die Spitzen dieser Dreiecke sind die mit speziellen Marken versehenen Punkte des geodätischen Struve-Bogens!
Der älteste Abschnitt dieser Kette aus Dreiecksnetzen wurde 1816–1821 im Gouvernement Vilnius angelegt. Hier hat der aus Estland stammende Offizier der zaristischen Armee, Carl Tenner, wissenschaftliche Forschung betrieben und Vermessungsarbeiten organisiert. Professor F. G. W. Struve organisierte 1822–1831 auf eigene Initiative das Einrichten des Triangulationsnetzes in Estland und Lettland. Beide Forschungsergebnisse wurden um 1830 kombiniert und die in anderen Ländern befindlichen Abschnitte der Dreiecksnetze kamen hinzu.
Professor Struve systematisierte die Ergebnisse der zur Berechnung des Meridianbogens konzipierten Forschung und beschrieb sie in seinem Werk „Arc du Méridien 25°20'” („Meridianbogen 25°20'“). Es ist erwähnenswert, dass diese Berechnungen des geodätischen Bogens aus dem 19. Jahrhundert damals die genauesten waren. Man berief sich noch ein ganzes Jahrhundert darauf, wenn die Erdparameter mit der Triangulationsmethode berechnet und geprüft wurden.
Außergewöhnlicher globaler Wert
2005 wurden durch die vereinten Bemühungen von zehn kooperierenden Staaten die Punkte des geodätischen Struve-Bogens in das Welterbe der UNESCO aufgenommen. Es wurde anerkannt, dass es sich um ein Objekt des Welterbes von besonderem globalem Wert handelt. Gemäß dem Übereinkommen zum Welterbe handelt es sich bei einem besonderen globalen Wert um einen besonderen Wert des Kultur- und (oder) Naturerbes, der nicht durch Staatsgrenzen eingeschränkt wird, d. h. er ist im internationalen Zusammenhang von Bedeutung. Außerdem definiert sich die Aktualität eines solchen Wertes nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für zukünftige Generationen.
Es ist bemerkenswert, dass nationale oder regionale Objekte nicht automatisch Teil des Welterbes werden. Nur die vom Ausschuss des Übereinkommens zum Welterbe festgelegten und regelmäßig überprüften Kriterien entscheiden darüber, ob ein Objekt als weltweit bedeutendes Erbe mit besonderem globalem Wert anerkannt wird. Der besondere globale Wert des Struve-Bogens wurde auf Grundlage dreier von zehn Kriterien, welche die Idee des Welterbes widerspiegeln, anerkannt.
Nach Kriterium II: Es ist ein besonderes Beispiel für die Verbreitung menschlicher Werte, wobei die Wissenschaftler und Monarchen verschiedener Länder zum Wohle des wissenschaftlichen Fortschritts zusammengearbeitet haben. Die Forschung des geodätischen Struve-Bogens führte zu einem wichtigen Schritt in der Entwicklung der Geowissenschaften. Die Forschungsergebnisse waren erste Berechnungen, die bei der genauen Ermittlung der Größe und Form der Welt geholfen haben.
Nach Kriterium IV: Es ist ein einzigartiges technologisches Ensemble, das unter Einsatz einer speziellen Vermessungsmethode erschaffen wurde und für den Fortschritt in den Geowissenschaften gesorgt hat. Die Punkte des geodätischen Bogens gelten als immobiler und immaterieller Teil dieser Vermessungstechnologie.
Nach Kriterium VI: Der geodätische Bogen und seine Punkte sind der direkte und offensichtliche Beweis für das Interesse der Menschheit an der Welt. Außerdem wird die Beziehung zu Isaac Newtons Theorie von der ungleichmäßigen Form des Erdballs betont, die den Anreiz zur Suche nach den genauen Parametern des Planeten lieferte.