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Auf dem Weg nach Maišiagala, etwa 10 km in nordwestlicher Richtung von Vilnius, befindet sich das Dörfchen Bukiškis. Am Bevardis-See erhebt sich auf einem kleinen von Laubbäumen bewachsenen Hügel das Schmuckstück des Dorfes – die Orthodoxe Kirche „Geburt Christi“ (russ. „Chram Roschdestva Christova“),
Die früher mit dem Namen Beschützerin der Gottesmutter bezeichnete orthodoxe Kirche „Geburt Christi“ zeichnet sich durch eine für die Heiligtümer der Orthodoxen typische Architektur aus: In Richtung Himmel erstrecken sich fünf blaue helmförmige Kuppeln, und obwohl das Gebäude klein ist, strahlt es Majestät und Erhabenheit aus. Die Anzahl der Kuppeln besitzt in der religiösen Architektur der Orthodoxen außerdem eine symbolische Bedeutung.
Noch bis zum Jahre 1387, als Litauen zum Katholizmus konvertierte, waren viele Fürsten, die über Grundbesitz in slawischen Landen verfügten, zur Orthodoxie bzw. zum orthodoxen Christentum übergetreten. Dies ist einer der drei Hauptzweige des Christentums.
Im 19. Jahrhundert erließ General Božeran, dem die zaristische Regierung Ende des 19. Jahrhundert das bis dahin den Radziwiłłs gehörende Landgut Bukiškis überließ, den Bau der orthodoxen Kirche „Geburt Christi“.
Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten die Katholiken das Heiligtum für eigene Zwecke in Besitz zu nehmen. Gerichtlich wurde jedoch anerkannt, dass dies Unrecht wäre, denn der General, der die erste orthodoxe Kirche erbaute, war ein Orthodoxe. Es wird vermutet, dass im Kellergewölbe der orthodoxen Kirche „Geburt Christi“ die Familie von Božeran beigesetzt wurde.
Die orthodoxe Kirche „Geburt Christi“ in Bukiškis ist ein Kulturwert Litauens, der sich durch seine sakrale und architektonische Bedeutung abhebt. Dieses Heiligtum der Orthodoxen – eines von über 50 in Litauen – gehört zum Dekanat der Orthodoxen des Bezirks Vilnius. Hier finden Gottesdienste, die Überreichung von Sakramenten und andere Dienste statt. Informationen bezüglich des in der orthodoxen Kirche stattfindenden Gottesdienstes und andere Informationen werden telefonisch oder per Internet erteilt.
Die Architektur
In der Architektur der orthodoxen Kirche Geburt Christi sind typische Züge des Historismus erkennbar. Der Historismus ist in gewisser Weise die Wiedergabe von Kunststilen der Vergangenheit, begründet mit wissenschaftlicher, kunstgeschichtlicher Forschung und aufgewertet mit späteren Technologien. Im Historismus sind majestätische, massive und luxuriöse Details vorherrschend. Die helle, kleine und in ein gelbes Gewand gehüllte orthodoxe Kirche von Bukiškis erweckt den Eindruck großer Pracht.
Das Heiligtum mit rechteckigem Grundriss verfügt über eine Apsis – einen halbrunden Gebäudeteil, der von einer Halbkuppel bedeckt ist. Neben einer zentralen Kuppel zieren die Seitentürme der Kirche weitere vier Kuppeln von der Form eines achteckigen Helms. Alle sind in Blau gehalten.
Es sollte erwähnt werden, dass die Anzahl der Kuppeln in der Architektur orthodoxer Kirchen eine besondere Bedeutung besitzt. Die fünf Kuppeln der orthodoxen Kirche Geburt Christi symbolisieren den Erlöser und die vier Evangelisten: Matthäus, Markus, Johannes und Lukas. Wird nur eine Kuppel errichtet, dann zu Ehren Gottes, sind es drei, dann stehen sie für die Hl. Dreifaltigkeit, und sind es sieben, dann sind sie den sieben Sakramenten gewidmet...
Die Geschichte
Das Landgut von Bukiškis gehörte lange Zeit der Familie Radziwiłł. Als die zaristische Regierung nach dem Aufstand von 1863 den berühmten Adeligen aus Litauen Land entzog, wurde der russische General Božeran sein neuer Eigentümer. Auf Initiative des orthodoxen Božeran wurde mit dem Bau einer orthodoxen Steinkirche begonnen und ihr wurde der Name Beschützerin der Gottesmutter verliehen.
Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Vilniusser Gebiet in den Besitz des katholischen Polens. Die Gläubigen führten Verhandlungen zur Übernahme der orthodoxen Kirche und zu ihrer Nutzung als Gemeindekapelle und Filialkirche. Übersetzt aus dem Lateinischen bedeutet filia „Tochter“ und filius „Sohn“. In der Kirche versteht man darunter eine gesonderte Abteilung, die nicht über den Status einer Gemeinde und mitunter nicht mal über einen Altar verfügt. Das Gericht gestattete die Übertragung der orthodoxen Kirche an die Katholiken nicht, denn ihr grundlegender Nutzungszweck war es, der orthodoxen Gemeinde zu dienen. Zudem leisteten die Orthodoxen aus Vilnius heftigen Widerstand.
Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude großen Schaden. Für recht lange Zeit bestand keine Möglichkeit, sich angemessen darum zu kümmern. Erst vor etwa einem Jahrzehnt wurde die orthodoxe Kirche „Geburt Christi“ wiederaufgebaut und renoviert.
Die Orthodoxen
Das orthodoxe Christentum bzw. das Wort Orthodoxie bedeutet aus dem Griechischen übersetzt „Rechtgläubigkeit“. Weltweit, so auch in Litauen, ist dies (nach dem Katholizismus) gemäß der Zahl der Gläubigen der zweitstärkste Zweig des Christentums. Dieser Zweig des Christentums, der seinen Ursprung in der Kultur der griechischen Antike hat, wird oft als Ostkirche oder griechisch-orthodoxe Kirche bezeichnet. Die Trennung von Westkirche und Ostkirche geschah im Jahr1054. Beide Kirchen unterscheiden sich in ihren Ritualen, ihrer Liturgie und Sprache.
Die Orthodoxie in Litauen
Historische Quellen behaupten, dass die orthodoxe Gemeinde in Litauen bereits seit dem 13. Jahrhundert besteht. Mit der orthodoxen Kirche hatte Litauen bereits vor der Annahme der Taufe zu tun. Die heidnischen Fürsten, die im Osten die slawischen orthodoxen Lande beherrschten, haben diesen Glauben oft angenommen. In Litauen gab es bis in die Mitte des 15. Jahrhundert über 50 orthodoxe Fürsten.
Bekannt sind sechs litauisch-stämmige orthodoxe Heilige: Daumantas, der den Namen Timotheus erhielt, Charitina, eine Verwandte von Mindaugas, der Mönch Eliziejus sowie die Vilniusser Märtyrer Antonius, Johannes und Eustachijus. Die Gebeine aller drei Märtyrer werden im Vilniusser Kloster des Hl. Geistes aufbewahrt.
Die orthodoxe Kirche Litauens gehört zum Patriarchat von Moskau und ganz Russland. Es handelt sich um eine von neun Religionen des Landes – die zweite gemäß der Anzahl der Gläubigen – die seit langer Zeit besteht und als traditionell gilt. In Litauen sind 57 orthodoxe Gemeinden gemeldet, die insgesamt über etwa 125.000–140.000 gläubige Einwohner (ca. 4 Prozent) verfügen. Die Gebetshäuser der Orthodoxen stehen in allen größeren und den meisten kleineren Städten. In Vilnius residiert der Bischof der Orthodoxen. Dort befindet sich auch die Kathedrale der Gottesmutter Himmelfahrt und das geistliche Zentrum der Orthodoxen Litauens – das Kloster des Hl. Geistes.