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Der höchste Ort in der Republik Litauen – der Aukštojas-Berg – erhebt sich 293,84 Meter über dem Meeresspiegel. Der Aukštojas-Berg befindet sich im Bezirk Vilnius in der Nähe des Dorfes Medininkai im dortigen geomorfologischen Schutzgebiet Juozapinė. Ein auf den Gipfel hinaufgerollter Stein und eine einbetonierte geodätische Marke bezeugen Name und Höhe des Bergs.
Um das Fragment des Moränenmassivs des alten Reliefs zu erhalten, wurde 1992 das geomorfologische Schutzgebiet Juozapinė mit einer Fläche von 251 Hektar gegründet. Aus geografischer Sicht gehört das Schutzgebiet zum Hochland von Medininkai, das seinerseits den nordwestlichen Teil des Hochlandes der Ašmena einnimmt. Das Relief dieses Gebiets unterscheidet sich von anderen Hochländern Litauens und gilt als eines der ältesten im Land. Es hat sich offenbar während der vorletzten globalen Eiszeit gebildet, wo es viele Jahre unter dem Eis eingefroren war.
Vor ungefähr 10.000–15.000 Jahren befand sich das Gebiet unseres heutigen Staates unter einem Gletscher. An seinem Rand sammelten sich verschiedene Moränenablagerungen an: Geröll, Kies, Schotter, Sand und Feldsteine. Das mächtige Wasser der schmelzenden Gletscher schliff die Oberfläche des Hochlands von Medininkai ab. Jetzt ist es relativ flach, ohne auffällige Hügel und Erhebungen. So lässt sich erklären, warum es beim Ausblick vom Aussichtsturm auf dem Gipfel des Aukštojas, der sich ganze 300 m über den Meeresspiegel erhebt, nicht einfach zu verstehen ist, dass es sich hierbei um den höchsten Gipfel des Landes handelt.
Bemerkenswert ist, dass sich im Hochland von Medininkai keine Seen befinden. Wissenschaftler behaupten, dass es hier einst Seen gab. Jedoch hat das Gletscherwasser das Wasser dieser Seen mit sich gezogen und die Ufer abgetragen. Heute sind die Hauptelemente der Landschaft Täler, Schluchten und Vertiefungen sowie breite, flachhängige oder gewölbte Hügel.
Lange Zeit dachte man, dass der höchstgelegene Ort Litauens der Juozapinė-Berg ist, der sich ebenfalls im Hochland von Medininkai, etwa 1 km vom Aukštojas entfernt, erhebt. 2004 haben Experten des Instituts für Geodäsie der Technischen Gediminas-Universität von Vilnius mit moderner GPS-Technologie berechnet, dass der Höhenunterschied zwischen diesen beiden Gipfeln etwa einen Meter beträgt. Das geomorfologische Schutzgebiet von Juozapinė kann sich also sogar zweier der höchsten Gipfel Litauens rühmen.
Der Aukštojas-Berg ist ein Naturobjekt Litauens mit besonderer Symbolträchtigkeit, das aus der landwirtschaftlich genutzten Fläche herausgelöst und touristischen sowie kulturellen Zwecken zur Verfügung gestellt wurde. Hier werden verschiedene Projekte veranstaltet sowie künstlerische Veranstaltungen organisiert. Jedes Jahr werden hier der Tag der Krönung von König Mindaugas (6. Juli), der internationale Tag der Erde (20. März), Wettbewerbe der Weltspiele der Litauer, ökologische, ethnografische und andere kulturelle Veranstaltungen vorbereitet.
Es sei daran erinnert, dass im Jahr 2006 bei einer auf dem Aukštojas abgehaltenen Feier der Startschuss für eine ganz besondere Danksagungsaktion gegeben wurde. Die Unterschriften von 300.000 Bürgern Litauens gingen auf die Reise zur Republik Island. Auf diese Weise sollte Island gedankt werden, das als erstes mutiges Land die Unabhängigkeit Litauens anerkannt hat. Die schriftliche Danksagung der Litauer an das isländische Volk wurde dem Präsidenten des Landes übergeben. Die Danksagungsaktion ließ zwei geografisch voneinander entfernte Staaten näher zusammenrücken, denn die Zeremonie in Island fand auf dem höchsten Berg des Landes, dem Hvanadalshnukuro (2120 m über dem Meeresspiegel), statt; dort wurde etwas litauische Erde aufgeschüttet.
Die Besucher des Aukštojas können sich an dem Kiefernwäldchen, dem angelegten Eichenwald sowie dem besonders künstlerischen Akzent – dem „Baltischen Sonnenrad“ – erfreuen. Für den Komfort der Touristen wurden Bänke, ein PKW-Parkplatz, Fahrradständer, ein Aussichtsturm sowie informative Wegweiser eingerichtet.
Der Aukštojas in der baltischen Mythologie
Aukštojas ist der Name des obersten Gottes der Balten, der in schriftlichen Quellen ab dem 14. Jahrhundert Erwähnung findet. Es handelt sich um die höchste Gottheit des Himmels, den Erschaffer der Welt, den Schöpfer der Grundsätze von Moral und Gerechtigkeit. Der höchste Gott ist der erste. Er währt ewig und hat keinen Anfang. Die Litauer des Altertums gaben ihm noch weitere Namen: Praamžius, Sutvaras, Vaisgamtis, Labdarys, Gyveleidis, Ūkopirmas u.a.
Der Aukštojas existierte bereits vor der Entstehung der Welt, als alles noch im Nebel lag. In Gestalt einer Taube flog er durch die Lüfte und teilte die Welt ein. Nachdem er den Nebel gelichtet hatte, eröffnete er den Weg, auf dem er wandelte und nach links spuckte. Dort, auf dem Wasser, zeigte sich ein Wesen in Gestalt des Menschen. Der Gott befahl dem Wesen, in das Haff hinab zu tauchen und die Samen der Erde zu bringen. Nach dem dritten Tauchgang hatte der Mensch Mund und Ohren voll mit Samen und brachte sie näher. Aukštojas schalt den Menschen für seine Gier, säte die Samen und begann das Wachsen der Saat zu beobachten.
Das „Baltische Sonnenrad“
2012 wurde auf dem Gipfel des Aukštojas eine Skulpturenkomposition von Dalia Matulaitė enthüllt – nicht nur ein künstlerischer Akzent, der den Berggipfel schmückt, sondern auch ein Symbol, das den Berg bereichert und ihn mit der Geschichte sowie dem Glauben des altertümlichen Litauens verbindet.
Das Baltische Sonnenrad symbolisiert einen altertümlichen Opferaltar. In seiner Mitte erhebt sich quasi über Litauen eine Krone, die von vier Pferdeköpfen aus Granit umgeben ist. Die Žemaitukai-Pferde, die in verschiedene Richtungen der Erde blicken, schützen die Krone und tragen ihre Kunde in alle Winkel der Welt.
Dalia Matulaitė steht mit ihren Werken für die litauische Volkskunst, die Charakterzüge der alten Balten sowie anderer Kulturen des Altertums. Die Bildhauerin hofft, dass die speziell für diesen besonderen Ort kreierte außergewöhnliche Komposition die baltischen Stämme vereinen und näher zusammenführen wird. Das „Baltische Sonnenrad“ ist ein Ort, an dem alle Nachfahren der Balten das Feuer zukünftiger Einheit entzünden können. Nach dem Entfachen des Feuers an der Opferstätte, sind die Menschen dazu eingeladen, quasi einen symbolischen Brief an die baltischen Brüder und Schwestern in den Nachbarländern zu senden.